Die indische Kultur legt besonderen Wert auf die Beziehung zwischen Guru und Schüler. Wer Schüler werden möchte, sucht durch demut, Liebe und Dienst Zugang zum Guru. Ein wahrer Guru hat Selbstverwirklichung erlangt, womit vollkommee Meisterschaft über der Puls und den Atemlosen Zustand, d.h. samadhi, gemeint ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist jemand der Aufgabe eines Guru gewachsen und nicht etwa, weil er ein guter Redner ist oder eine große Gefolgschaft hat. Wenn jemand ernsthaft nach Erleuchtung sucht, sorgt Gott dafür, daß er einen wahren Guru bekommt. Die meisten Menschen scheitern mit ihrer Suche nach Wahrheit, weil sie sich im Wald der Theologie verlieren und von einer Theorie zur anderen irren. In guten Büchern finden sich zwar wahre religiöse Prinzipien, ihre ganze Bedeutung bleibt aber so lange unbegreiflich, bis ihre verwirklichung im Leben eines Gurus geschehen wird. Ein Erleuhteter kann seinen Schülern helfen, vorausgesetzt diese befinden sich mit ihm in Einklang. Später ist die physische Gegenwart des Meisters zur Führung nicht mehr so wichtig. Der wahre Guru ist Gott selbst. Der menschliche Guru ist nur sein Werkzeug, sein Vermittler.
Durch üben der großen Yoga-Methode, die von den Weisen Indiens enthült wurde, kann er leicht über die begrenzte Körperbewußtheit hinaus gehen und seine Einheit mit Gott fühlen. Er spürt das die Eigene Existenz Geist ist. Der Mensch ist Anfang und Ende von allem. Er kann fühlen, das er durch alle Hände arbeitet, durch alle Gemüter denkt und sein eigenes Herz in allen Herzen schlägt. Er spürt die eigene Gegenwart in allem und erkent, das die Sterne nichts als Schmuckstücke an seinem riesigen Körper sind. Er breitet sich über die Sterne aus, erstrahlt auf Grund ihrer Helligkeit, und die Schöpfung treibt auf dem Ozean ewiger Existenz.
Körper und Verstand sind nichts anderes als zwei Formen von Geist. Geist als Materie manifestiert, ist immer noch Geist. Die spirituelle Tradition Indiens lehrt zu erkennen, daß dieser Geist in uns lebt. Durch die Bindung an Körper und Materie vergißt die Seele ihre wahre Natur. Darum muss ihr göttliches Gedächtnis erst wieder wachgerufen werden. Dann erst kann der Mensch herausfinden, daß er selbst Gott ist, alles Gott ist und nichts außer Gott existiert. Dieses Erkennen der höchsten und absoluten Wahrheit ist der Schatz Indiens, ...
Alle wahren Gurus leben noch, ungeachtet dessen, ob sie ihre körperliche Form behalten haben oder nicht. Am beginn der spirituellen Suche kann man viele Lehrer haben, es gibt jedoch nur einen Guru. Schüler sind jene, die für ene ewige Beziehung zum Guru kommen. Der Guru ist die lebende Verkörperung der spirituellen Wahrheit. Sobald ein Schüler sein Herz gereinigt hat, sendet ihm Gott einen Guru, da es einfacher ist einer lebenden Verkörperung der Wahrheit zu folgen, als von abstrakten Vorstellungen zu zehren. Kein Buch, wie erhaben es auch sein mag, kann einen Guru ersetzen. Die Frage ist, wie man wissen kann, wem die Rolle des Guru auf dem Weg zur Selbstverwirklichung zusteht.
Shri Shnkara agt: "Drei Dinge sind wahrhaft selten und werden nur durch die Gnade Gottes erlangt: eine menschliche Geburt die Sehnsucht nach Befreiung und die schützende Fürsorge eines vollkommenen Wesen."
Der Guru, der Lehrer und Meister des spirituellen Weges, ist Freund, Philosoph ud Führer des Suchenden und führt ihn kontinuierlich bis zum göttlichen Ziel. Der Meister ist verwirklicht. Ein Medizinprofessor trachtet danach, daß seine Schüler in Theorie und Praxis gleich qualifiziert sind. Genauso erzieht der spirituelle Lehrer seine Schüler, bis sie in allen Aspekten stark und bereit sind, die höchste Wirklichkeit zu erkennen. Der Guru vertreibt die Dunkelheit das Unwissen aus dem Leben des Schülers und hilft ihm, auf dem Weg des Lichtes, d.h. der Weisheit, zu wandeln.
Damit der Schüler nicht in die Irre geleitet wird, raten die Schriften verschiedener Religionen immer wieder, den Meister mit genauster Sorgfalt und größter Umsicht auszuwählen. Es gibt eine vielzahl an falschen Propheten, Heuchlern und Leuten, die sich als Meister ausgeben. Die Schriften betonen die Qualitäten eines Meisters, denen man sorgfältige Aufmerksamkeit schenken solte. ...
In der Guru Gita steht:
Ob mein Schüler Parvati, viele ernennen sich selbst zum Guru und loben sich selbst, ständig schielen sie auf den Besitz ihrer Schüler und suchen materielle Dinge zu erlangen, doch der wahre realisierte Guru ist sehr selten, ständig bestrebt, Gefahren, Schwierigkeiten, Unruhen, Täuschungen und Unwissen von seinem Schüler fernzuhalten.
In der Mundaka-Upanisad (1:2/8) steht:
Selbst im tiefsten Dunkel der Unwissenheit gefangen, denken die selbsternannten Weisen: >Ich bin Weise und gebildet<. Diese überheblichen Narren wandern umher, wie Blinde, von Blinden geführt. Die Folgen sprechen für sich selbst.
Anfangs begibt sich der Guru auf die Ebene seines Schülers hinab, um ihn zu ermutigen und ihn nach und nach durch Unterweisung und Beispiel emporzuleiten. Daraufhin wird der Schüler nach Eignung und Reife geschult, bis er ebenso furchtlos und unabhängig ist wie sein Guru. Wie eine Katzenmutter ihr blindes und hilfloses Kind im Maul trägt, so überwacht der Guru zunächst jede Bewegung seines Schülers und läßt ihm kaum Freiraum. Auf der nächsten Stufe gewährt er ihm eine ähnliche Freiheit, wie es eine Affenmutter tut, wenn sich ihr Junges zum erstenmal nicht mehr an ihrem Fell festklammert und sie es nur noch in ihrer Nähe hält. Auf der ersten Stufe untersteht der Schüler ganz fraglos dem Gebot des Guru, auf der zweiten Stufe gibt er jeden eigenen Willen völlig auf. Auf der dritten Stufe wird er gewandt und klar im Gedanke. Wort und Tat gleicht darin dem Fisch der niemals mit den Augen blinzelt.
B.K.S. Iyengar "Licht auf Pranayama"
(ein solches Verhältnis ist mit erwachsenen Menschen aus dem Westen kaum möglich. Auch mit indischen Erwachsenen nicht. Die Schüler sind jugendliche bis ca. mitte 20, anfang 30. Sind die Schüler älter, lassen sie sich auf diese Weise kaum führen.)
Es gibt viele verschiedene Wege, um Menschen zu den zu Himmeln zu bringen. Diese Wege müssen den Fähigkeiten und Eigenschaften der Menschen entsprechen. Wir benutzen Methoden die dem jeweiligen Verständnis der Menschen und ihrem Glauben entsprechen. Diese richten sich nach ihrer individuellen Willenskraft. Entscheidend ist für den, der etwas erreichen will die Willenskraft. Deshalb schauen wir zuerst, auf welcher Stufe jemand ist, so daß wir ihn von seinem Ausgangspunkt schneller oder weniger schnell zu seiner himmlischen Station führen können. Aus diesem Grunde fragen wir die Suchenden, ob sie bereit sind, sich einem Programm zu unterziehen, das sie zu ihren himmlischen Stationen führt. Die dazu erforderliche Willenskraft muß der Suchende selbst aufbringen, dann kann ihm der Meister des Weges entsprechend seiner Stufe etwas geben. Manchen gibt er am Anfang erst einmal nichts, weil zuerst bestimmte Eigenschaften in ihrem Inneren verändert werden müssen, damit sie frei werden emporzusteigen. Sufi-Meister müssen die geistigen Kräfte besitzen, die sie in die Lage versetzen, die Möglichkeiten und Fähigkeiten eines Menschen einzuschätzen, wenn sie ihn anschauen um ihm nicht mehr zu geben als er tragen kann, denn wenn jemandem zu viel aufgebürdet wird, kann es passieren, daß er in die Irre geht.
Aus dem Jahr 2000 ... Während der letzten 30 Jahre gab es in Amerika einen steten Zustrom von Weisheitslehrern aus dem Fernen Osten. Durch ihr Wirken ist der Begriff des Gurus oder erleuchteten spirituellen Lehrers bekannt geworden. Dabei hat auch die Vorstellung Verbreitung gefunden, der Guru weise den Gläubigen den Weg zur Erleuchtung, Selbstverwirklichung oder vereinigung mit dem göttlichen Geliebten.. Der Lehrer so heißt es, sei für die Entwicklung des Schülers verantwortlich. Und je mehr sich der Schüler der Führung des Lehrers anvertraue, desto schneller käme er voran. Meist stellt man sich das unter einer Guru-Schüler-Beziehung vor. Doch ist der Guru anders, als die meisten spirituellen Lehrer lehren, keine Person, sondern ein Prinzip. Wenn ein großer Generator außer Betrieb ist, tut das seiner Leistung keinen Abbruch. Nur weil er augenblicklich keinen Strom liefert, heißt das weder , dass er überhaupt keinen Strom liefern kann, noch, dass er nicht jeden Moment anspringt, weil er gebraucht wird. Ähnlich existiert in jedem von uns ein Prinzip, das in Betrieb oder nicht im Betrieb sein kann. Zu verscheidenen Zeiten in verschiedenen Leben ja nach aktuellen Seelenplan tritt das Guruprinzip in Aktion. Der wahre Guru ist keine Person, der man blind gehorcht. Der wahre Guru ist ein Prinzip des eigenen Herzens, das einem auf dem weit verzweigten spirituellen Pfad leitet, wenn man dazu bereit ist. Im Sanskrit wird dieses Grundprinzip upaguru, dwer "gestaltlose Lehrer" genannt. ... Da sich der Geist oder Atman immer im Zustand des Lichts und der EWrleuchtung befindet, ist das, was verfinstert ist, die Seele. Die Seele erkennt nicht automatisch ihre Natur. Die Aufgabe des Guruprinzips ist es, die Seele zur Einsicht zu bringen, dass sie nach dem Licht suchen, es finden und sich ihm ergeben muss. Lehrer, die auf dem Weg der Selbsttransformation in Harmonie mit dem Licht weit fortgeschritten sind oder sich ihm in irgendeiner Form dienlich machen, werden alltagssprachlich "Guru" genannt. Das heißt das sie Vorreiter auf unserem kollektiven Weg sind und unterwegs eine helfende Hand reichen. So weit, so gut.
Bei einigen Lehrern nimmt die "Hilfe" manchmal bedenkliche Formen an. Manche fangen an, absoluten Gehorsam zu verlangen. Oder andere "testen" ihre Schüler mit absurden Forderungen. ...
Es hat stets auf fast allen religiösen Wegen qualifizierte, wohlgesonnenne und hilfreiche spirituelle Lehrer gegeben, und es gibt sie auch heute noch. Die obige Klarstellung soll nicht bedeuten, dass Lehrer im Grunde überflüssig, oder schlecht sind. Im gegenteil, sie sind gut und wichtig. Aber auch sie sind Mensch. Auch sie haben wünsche und können sich genauso wie jeder andere täuschen. Woran man stets denken sollte, ist, dass jeder äußere Lehrer einem nur so lange auf dem spirituellen Weg behilflich sein kann, solange er oder sie genau das widerspiegelt, was einem der innere Lehrer beizubringen versucht. Sobald der äußere Lehrer nicht mehr den inneren entspricht, wird er zum Hindernis. ...