Ukraine-Krieg: Wie US-Medien plötzlich Stimmung für Verhandlungen mit Putin machen
Die USA sind in mehrerer Hinsicht der größte und wohl auch wichtigste Unterstützer der Ukraine. Doch in New York, Washington und Co. dreht sich die Stimmung. Author - Nicolas Butylin Nicolas Butylin 28.12.2023 | 15:37 Uhr Stimmungswechsel in den USA? Hier empfängt Präsident Joe Biden seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus. Stimmungswechsel in den USA? Hier empfängt Präsident Joe Biden seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus.Zuma Wire/imago
Während der vergangenen Wochen, mitten in der Vorweihnachtszeit, veränderte sich die Meinung zunehmend gegenüber der Ukraine. Eine Art Stimmungswechsel war zu beobachten. Nicht unbedingt an der Front im Donbass oder der Südukraine, sondern vielmehr in den USA.
Besonders in den großen amerikanischen Leitmedien wie der New York Times, der Washington Post oder Bloomberg nimmt man seitdem vermehrt Kommentare und Meinungsstücke wahr, die einen Waffenstillstand in der Ukraine fordern.
Erst kürzlich schrieb der New-York-Times-Redakteur und ehemalige Moskau-Korrespondent Serge Schmemann, es sei verständlich, dass „die Aussicht, endlose Ressourcen in eine ins Stocken geratene Militäroperation zu pumpen, auf Widerstand stößt“. Für den 78-jährigen Gewinner des renommierten Pulitzer-Preises gebe es kaum Aussicht auf ein Ende der Kämpfe; zuverlässige Prognosen, wann der Angriffskrieg Russlands aufhöre, gebe es ebenfalls nicht.
Schmemanns Ausführungen stehen derzeit sinnbildlich für den atmosphärischen Gemütszustand in den USA hinsichtlich weiterer Ukraine-Hilfen. Die amerikanische Politik zögert nämlich: Zwar stellt die Biden-Regierung der Ukraine ein vorerst letztes Militärpaket in Höhe von 250 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Wie es jedoch in der Zukunft mit der Unterstützung Washingtons weitergeht, bleibt unklar. Denn die Republikaner stellen sich derzeit weiteren Militärhilfen in den Weg, da sie von den Demokraten im Gegenzug eine verschärfte Asylpolitik fordern.
Die Implikationen der US-Innenpolitik haben demnach auch Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Washington und Kiew. Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Mitte Dezember für Gespräche in Washington war, hieß es in einer Pressekonferenz des Weißen Hauses nicht mehr: „Wir unterstützen die Ukraine so lange wie nötig“, sondern nur noch „so lange wir können“.
Laut Umfragen geht den Amerikanern die Unterstützung zu weit
Währenddessen verändern sich auch abseits der amerikanischen Politik die Einstellungen zur weiteren Unterstützung der Ukraine. So ist laut mehreren Umfragen die Mehrheit der Amerikaner mittlerweile der Meinung, dass ihre Regierung zu viel tue, um der Ukraine zu helfen. Im Vergleich zu 24 Prozent im Sommer vergangenen Jahres ist dieser Wert auf 41 Prozent stark gestiegen. Im Gegensatz dazu meinen nur noch ein Viertel der Befragten, dass die USA zu wenig helfen; im August 2022 waren es noch über 38 Prozent. Laut Gallup, einem der führenden Marktforschungsunternehmen der USA, ist besonders den Anhängern der Republikaner (61 Prozent) jedwede Ukraine-Unterstützung zu viel.
Auf die wechselhafte Stimmung innerhalb der amerikanischen Bevölkerung beziehen sich seither mehrere Artikel in den großen US-Medien. Besonders der New-York-Times-Beitrag „Putin Quietly Signals He Is Open to a Cease-Fire in Ukraine“ (zu Deutsch: Putin signalisiert leise, dass er für einen Waffenstillstand in der Ukraine offen ist) vom 23. Dezember 2023 ging in den sozialen Medien viral. Immer häufiger liest man in amerikanischen Medien, die Ukraine solle sich auf einen Waffenstillstand mit Russland einigen. Immer häufiger liest man in amerikanischen Medien, die Ukraine solle sich auf einen Waffenstillstand mit Russland einigen.Pond 5 images/imago
In dem Text heißt es, der russische Präsident habe über Mittelsmänner einen möglichen Waffenstillstand signalisiert, der die Kämpfe einfrieren soll. Laut dem Angebot Moskaus sollen die bisher eroberten Gebiete im Osten und Süden der Ukraine, also ungefähr ein Fünftel des Landes, weiterhin unter russischer Kontrolle bleiben. Putin soll mit den eroberten Regionen „zufrieden“ sein, so die New York Times, und damit einem Waffenstillstand zustimmen.
Auch Serge Schmemann blickt in seinem Meinungsstück auf den NYT-Beitrag. „Wenn sich herausstellt, dass Herr Putin es ernst meint, sollte sich die Ukraine die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen“, schreibt Schmemann. „Zurückgewonnenes Territorium ist nicht der einzige Maßstab für den Sieg in diesem Krieg.“ Spielen anstehende Wahlen Putin in die Karten?
Es sei eine verzwickte Lage, in der sich die Ukraine derzeit befinde. Immer mehr westliche Akteure fragen sich zunehmend, ob sie weiterhin auf begrenzte Ressourcen zur Ukraine-Unterstützung zurückgreifen können – besonders dann, wenn der Oberbefehlshaber in Kiew von einer Pattsituation spricht, die nur durch einen Technologiesprung beendet werden könne.
Aber auch in Europa regt sich Widerstand; Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán blockierte auf dem EU-Gipfel im Dezember ebenfalls weitere Militärpakete für Kiew; ein polnischer General warf dem Westen eine Mitschuld für die gescheiterte Sommeroffensive vor. Während also Putin sicher auf die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 schielt und seine Hoffnungen auf Donald Trump setzt, ist man sich in Kiew angesichts der US- und Europawahlen bewusst: Die Uhr tickt gegen die Ukraine.
„Regt euch doch auf“ – Kolumne von Julia Ruhs - Corona-Protestierende war „die Bekloppte“ - jetzt sind Demonstranten die Guten Geschichte von Von FOCUS-online-Gastautorin Julia Ruhs • 2 Std.
Es ist ja momentan in, Haltung zu zeigen. Sich auf Demos gegen „rechts“ für seine gute, ehrbare Gesinnung zu feiern – und feiern zu lassen. Andererseits wurden die Corona-Proteste geächtet. Hier die kollektive Sympathie, da die kollektive Ablehnung. Was ist das für eine eigenartige Dynamik?
Es ist ja momentan „in“, Haltung zu zeigen. Sich auf Demos gegen „rechts“ für seine gute, ehrbare Gesinnung zu feiern – und feiern zu lassen. Andererseits gab es in den vergangenen Jahren keine Demonstrationen, die gesellschaftlich so geächtet wurden wie die Corona-Proteste. Hier die kollektive Sympathie, da die kollektive Ablehnung. Was ist das für eine eigenartige Dynamik?
Ich habe vor kurzem wieder mit einer FOCUS-online-Leserin telefoniert, sie hatte mir eine sehr ausführliche Mail geschrieben. Sie hat für die Demokratie demonstriert. Doch halt – nicht vor kurzem auf den „Demos gegen Rechts“. Sondern während der Corona-Pandemie. Oh je, denkt der ein oder andere jetzt sicherlich, so eine ist das…. Ich kann beruhigen, sie ist keine Spinnerin. Am Telefon wirkte sie ganz und gar nicht danach. Man muss nur ein wenig meinungstolerant sein – die Grenzen zulässiger Ansichten nicht ganz so eng ans eigene Weltbild ranschrauben. Haben wir alle Dosenöffner unser ganzes Leben lang falsch benutzt
Sie traut fast keinem mehr Die Leserin war damals bei den Montagsspaziergängen gegen die Corona-Politik mit dabei. Als sie mir das erzählt, klingt es so, als müsste sie sich dafür rechtfertigen. Ohnehin hat es Überzeugungsarbeit gekostet, dass sie mit mir telefoniert. Journalisten sind bei ihr untendurch. Sie traut keinem mehr, auch nicht der Politik. Außer ihrem Bürgermeister im Dorf, den kennt sie persönlich. Sie hat wohl nicht ohne Grund das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
Die Proteste gegen die Coronamaßnahmen waren eben keine der Demos, die medial abgefeiert wurden. Ich vermute, mehr moralische Ächtung als bei diesen Demos geht kaum. Sehr viele waren sich ja damals irgendwie einig – dass die Corona-Demos der viel bekundeten Solidarität schaden, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Krise untergraben. Eine kleine impfunwillige Minderheit terrorisiere die Mehrheit – und was für Spinner das doch alles sind.
Man hat es sich leicht gemacht, legitime Sorgen einfach abzutun Natürlich gab es Gründe dafür, warum die Demos insgesamt nicht gerade gut weg kamen: die teils sehr absurden Verschwörungsmythen, die dort kursierten. Die an die Kleidung angehefteten, Holocaust-verharmlosenden Davidsterne mit der Aufschrift „ungeimpft“. Die Anfeindungen gegenüber Medienvertretern. Die Rechtsextremen und Reichsbürger, die auch an einigen der Demos teilgenommen hatten. Unterirdisch, inakzeptabel. Was es den Politikern dann leicht gemacht hat, legitime Kritik an den Corona-Maßnahmen einfach abzutun.
Denn natürlich waren auch normale Leute dabei. Leute, die sich ehrliche Sorgen gemacht haben – um unsere Demokratie.Nach eineinhalb Stunden Telefonat würde ich sagen, dass so eine auch die Frau am anderen Ende der Leitung ist. Bei weitem keine Rechtsextreme oder fanatische Verschwörungsgläubige.
Sie ist 60 Jahre alt, wohnt nahe München und steht seit 43 Jahren im Arbeitsleben. Diese Zahl scheint ihr wichtig zu sein, sie schrieb sie ganz an den Anfang ihrer ersten Mail an mich. Ihr ganzes Leben lang war sie SPD-Stammwählerin. Willy Brandt und Helmut Schmidt fand sie immer toll. Aber eigentlich, sagt sie, war sie im Grunde völlig unpolitisch. Ihr Leben habe halt gepasst, sie war zufrieden, die Politik habe sie nie groß betroffen.
Die Pandemie machte sie politisch Erst mit Corona passte in ihrem Leben plötzlich gar nichts mehr. Sie empfand die Lockdowns als unverhältnismäßig, viele Maßnahmen als unsinnig: Ihre Enkelkinder durften keine Schule mehr besuchen, keinen Spielplatz, das Homeschooling klappte oft nicht. Und dann die ganze Impf-Debatte: Die Impfpflicht, die erst auf keinen Fall und dann doch kommen sollte. Die Impfschäden, die es erst angeblich nicht gab, die dann aber doch nicht mehr als puren Irrsinn abgetan werden konnten. Oder die Fälle in ihrem entfernten Bekanntenkreis. Zwei junge Männer, Anfang 20, die Suizid begingen. Sie will nicht behaupten, dass nur die Lockdowns daran schuld waren – möglicherweise waren die Depressionen ja schon vorher da – aber vielleicht wurde mit Corona alles noch viel schlimmer, wer weiß das schon?
Der soziale Druck Das alles trieb sie um. Deshalb nahm sie an den Montagsspaziergängen teil. „Weil ich gesagt habe, ich muss was tun. Diese Angst, wie weit geht der Staat? Wie repressiv wird er? Das hat mir furchtbare Angst gemacht. Tausendmal mehr Angst als jeder Virus.“
Es war nicht nur der Staat und die Corona-Maßnahmen, die sie fürchterlich fand. Sondern die ganze Dynamik, die sich Bahn brach. „Der unglaubliche Druck seitens der Arbeitgeber, Kollegen, Schulkameraden. Die völlig unglaublichen Entgleisungen vieler Journalisten, von Ärzten, von bekannten Fernsehdarstellern, Personen des öffentlichen Lebens.“ Weil sie sich nicht impfen lassen wollte und bei den Corona-Protesten mitlief, war sie plötzlich „Coronaleugnerin“, „Schwurblerin“, „Covidiotin“, „Bekloppte“, „Blinddarm der Gesellschaft“. Es gab plötzlich viele Etikette für Leute wie sie.
Jetzt ist es umgekehrt: Die Guten gehen auf die Straße Die Guten bleiben zu Hause, hieß es damals. Die Guten gehen auf die Straße, heißt es jetzt. Beim Lichtermeer, beim Zeichen setzen, beim Haltung zeigen gegen „rechts“. Die kollektive Sympathie scheint auch in diesen Wochen wieder klar verortet. Die ganze soziale Erwünschtheit demonstriert auf den Anti-AfD-Demos mit. Es gibt jetzt den sozialen Druck, dort mitzulaufen. Da macht es offenbar auch nichts, dass auf den Demos gewagte Parallelen zur Nazi-Zeit gezogen werden, sich nicht wenige offenbar in den hysterischen Glauben hineinsteigern, ein rechtsextremer Umsturz der AfD stünde kurz bevor. Dass linksextreme Organisationen mit von der Partie sind.
Wie toll diese Demos doch sind Die „Demos gegen rechts“ werden förmlich überschüttet mit Lob. Jeder Politiker, jeder Verband, jede Organisation – kurz: jeder, der zur Gruppe der Aufrechten gehören will – versichert, wie toll diese Demos doch sind. „Das Herz unserer Demokratie“ schlage auf den Straßen und Plätzen, so drückte es Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor kurzem aus. Anfang 2022, damals an die Corona-Demonstranten gewandt, bekundete sie noch, man könne „seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln“. Meine Gesprächspartnerin geht nicht auf die „Demos gegen rechts“. Eher ist es erstaunlich, wie sie diese wahrnimmt: Sie sagt, dass von diesen Demos ein Hass ausgehe, der sie sprachlos und sehr nachdenklich mache. Das klingt mächtig überzogen. Aber es ist ähnlich wie das, was andere über ihre Demos gesagt haben. Ihr war klar, dass sie für ihr Anliegen weder die soziale Erwünschtheit noch eine wohlwollende Öffentlichkeit auf ihrer Seite haben würde. Bei ihrem Protest gegen die Corona-Maßnahmen traf sie eher auf kollektive Ablehnung. Auch deswegen hat sie nicht selten gezweifelt: „Ich habe mich ständig gefragt, liege ich falsch? Denn man hat ja diese Unsicherheit – auf der einen Seite für die eigenen Überzeugungen einstehen zu wollen, aber trotzdem zu wissen: Vielleicht täuschst du dich ja ganz, ganz furchtbar!“
Sie beneidet die, die sich weniger Gedanken machen Auch wenn die Corona-Maßnahmen jetzt Geschichte sind, sie findet nicht, dass sie sich ganz furchtbar getäuscht hat. In ihren Augen trug die Corona-Zeit autoritäre Züge. Auch, weil die Medien insgesamt der Politik zu sehr nach dem Mund geredet hätten, meint sie. Sie hat jetzt immer noch Angst um die Demokratie. Davor, dass etwas kommt, ähnlich wie früher, aber unter anderen Vorzeichen. Ihr Grundvertrauen in den Staat ist jetzt futsch. Sie beneidet diejenigen, die sich weniger Gedanken machen als sie, sagt sie mir. Die sich auch gar nicht so viele Gedanken machen müssen. Weil sie nicht geächtet, sondern gefeiert werden für ihre Überzeugungen. Weil die, ganz anders als sie selbst, stets mit dem wohligen Gefühl im Bauch herumlaufen, ohne jeden Zweifel auf der richtigen Demo, auf der richtigen Seite zu sein.
Neue RKI-Files: Was ist los mit den deutschen Leitmedien?
Anstatt die nun ohne Schwärzungen veröffentlichten RKI-Protokolle zu prüfen, werfen sich manche Journalisten schützend vor die Politik. Warum dieses Anbiedern? Ein Kommentar. Author - Ruth Schneeberger Ruth Schneeberger 25.07.2024
Die ersten Reaktionen der großen Medien waren schon entlarvend. Sie kamen erst am Abend des Dienstags dieser Woche, an dem die freie Journalistin Aya Velázquez frühmorgens verkündet und dann vormittags auf einer Pressekonferenz vorgestellt hatte, was eigentlich eine kleine Sensation war: Ein Whistleblower hatte ihr die kompletten RKI-Protokolle zugespielt, ohne Schwärzungen und alle Pandemie-Jahre betreffend.
Somit liegen nunmehr die schwer umstrittenen Protokolle des Corona-Expertenrats des Robert-Koch-Instituts erstmals in voller Länge und ohne politische Schwärzungen vor. Umstritten deshalb, weil der Chefredakteur des Online-Magazins Multipolar diese schon seit Jahren versucht hatte herauszuklagen und bisher doch nur in Teilen und eben mit teils erheblichen Schwärzungen Erfolg hatte. Umstritten auch deshalb, weil im März, als die ersten Teile öffentlich wurden, Politik, Öffentlichkeit und Medien schon einmal sehr uneins darüber waren, ob sich in den Protokollen nun größere Erkenntnisse und Anlässe zu Untersuchungsausschüssen oder doch eher Belege dafür fanden, dass Politik und Behörden damals ausgewogen um Erkenntnisse in der Pandemie gerungen hätten.
Doch nun liegt eben alles offen da, dank des Whistleblowers und der auf X sehr engagierten Journalistin aus Berlin mit dem wohlklingenden Pseudonym. Folgende Sätze aus den Protokollen, um nur eine wirklich kleine Auswahl zu nennen, lassen sich nicht einfach wegdiskutieren: „In den Medien wird von einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt. Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?“ (RKI-Protokolle, 5. November 2021)
„Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ (RKI-Protokolle, 30. Oktober 2022)
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„Textentwurf Christian Drosten: Empfehlung für den Herbst, Darstellung der Ideen und Einschätzung. Kontext: Der Artikel ist vertraulich. Hr. Drosten hat zwischenzeitlich entschieden, das Papier nicht zu publizieren, da ungezielte Testung im Text als nicht sinnvoll betrachtet wird und dies dem Regierungshandeln widerspricht.“ (RKI-Protokolle, 29. Juli 2020)
„Aus Altenheimausbrüchen (Exposition für alle gleich) weiß man, dass die Wirkung der Impfung eher überschätzt wird. Schwieriges Thema, sollte nicht im Impfbericht formuliert werden.“ (RKI-Protokolle, 26. Oktober 2022)
„Impfung von Kindern: Auch wenn (von) STIKO die Impfung von Kindern nicht empfohlen wird, BM Spahn plant trotzdem ein Impfprogramm.“ (RKI-Protokolle, 19. Mai 2021)
Dass es nun weiterer Anstrengungen bedarf, um die offensichtlichen Widersprüche zu klären, die sich aus den RKI-Protokollen ergeben, liegt auf der Hand. Ein Untersuchungsausschuss, wie von manchen Seiten gefordert und von politischen Hauptakteuren naturgemäß in ihrem eigenen Interesse abgelehnt, scheint wahrscheinlicher zu werden. „Faktenchecker“ wiegeln ab, „Wissenschaftsjournalisten“ werden parteiisch
Doch was tun große Teile der Presse, deren ureigenste Aufgabe es nun wäre, sich die Protokolle genauer anzuschauen? Sie wiegeln ab.
Zunächst war auffällig, dass den ganzen Tag lang nach Erscheinen der neuen RKI-Files außer kleineren oder Alternativmedien kaum jemand berichtete, obwohl es eine – wenn auch sehr kurzfristig einberufene – Pressekonferenz dazu gab, die in Berlin etwa in Laufweite zum ARD-Hauptstadtstudio stattfand.
Erst am Abend berichteten die ersten Medien und auch die dpa zögerlich – und merkwürdig verdreht: Anstatt erst mal die Neuigkeiten zu verkünden, lauteten die ersten Meldungen, so auch beim ZDF: Das RKI sei empört über die Leaks. Damit wurde schon mal gegen die erste journalistische Grundregel verstoßen, zuallererst die Fakten zu benennen: nämlich dass es überhaupt solche Leaks gegeben hat, von wem sie stammen und was darin zu finden ist.
Die ARD berichtete dann zwar in der „Tagesschau“ anderthalb Minuten über die RKI-Files und ließ auch kritische Stimmen zu Wort kommen. In dem gesamten Beitrag wurde aber nicht einmal der Name der Journalistin genannt, die das Ganze initiiert hatte. Das ist unseriös.
Offenbar war es dem öffentlich-rechtlichen Sender wichtiger, vorab online einen sogenannten Faktencheck zu veröffentlichen, in dem auf die schon während der Pandemie bewährte Weise alle Zweifel an der Rechtschaffenheit der Maßnahmen zerstreut wurden.
Am gestrigen Mittwoch dann bequemten sich auch die größeren Print- und Leitmedien, sich zu der Sache zu äußern – nachdem sie mit den Hauptkritisierten gesprochen und diese ihnen versichert hatten, es gebe keinerlei Anlass zur Sorge. Anstatt aber diese erwartungsgemäßen Sprechblasen zu hinterfragen, schließen sich Teile der Leitmedien diesen Narrativen einfach an – wie auch schon oft genug während der Pandemie.
Das ist besonders auffällig in einem Text der Süddeutschen Zeitung von gestern, in dem schon in der Überschrift steht: „Und wo soll jetzt der Skandal sein?“ Christina Berndt, die etwa während Corona sehr oft im Fernsehen für die Impfung warb und dabei versicherte, es könne keine Langzeitwirkungen geben und man müsse daher auch keine Angst vor schweren Nebenwirkungen haben, und die trotzdem zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres 2021 gewählt wurde, springt hier vor allem dem Berliner Charité-Virologen Christian Drosten zur Seite. Der gerade zusammen mit dem (mit der SZ einst verbandelten) Investigativjournalisten Georg Mascolo ein Buch zur Aufarbeitung geschrieben hat. RKI-Files komplett entschwärzt: „Pandemie der Ungeimpften aus fachlicher Sicht nicht korrekt“
RKI-Files komplett entschwärzt: „Pandemie der Ungeimpften aus fachlicher Sicht nicht korrekt“ Politik
•gestern Das wird Lauterbach nicht gefallen: RKI-Files des Corona-Krisenstabs komplett entschwärzt veröffentlicht
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gestern Drosten, Spahn und Lauterbach sehen kein Problem
Drosten, heißt es darin, könne sich nicht erklären, wie ein solches Zitat in die RKI-Protokolle gelangt sei, es handele sich dabei auch nicht um ein „Papier“, sondern um einen Artikel, der kurz darauf sehr wohl erschienen sei, und zwar in der Zeit.
Dass das RKI ein Problem mit dem Nutzen von Masken habe, sei außerdem schon lange bekannt gewesen – und auch das sieht die Redakteurin aus München offenbar bis heute anders als das RKI. Schließlich wird noch Karl Lauterbach zitiert, der es ebenfalls richtig findet, nicht allzu viel auf das Robert-Koch-Institut als beratende Behörde zu hören.
Der Gesundheitsminister wird auch vom Spiegel zitiert, der sich am späten Mittwochabend dann doch noch sehr länglich unter Zuhilfenahme von fünf Autoren damit beschäftigt, „worum es in der Diskussion über die Pandemie der Ungeimpften geht“ (Überschrift). Der Text legt aber vor allem sehr ausführlich dar, wer außer Jens Spahn (CDU) als damaliger Gesundheitsminister noch alles den bösen Satz von der angeblichen Pandemie der Ungeimpften geäußert habe, der dann leider doch gar nicht stimmte. Unter anderem nämlich der Spiegel selbst (in Form von Nikolaus Blome) und als Erster – laut Spiegel – schon im Juli 2021 US-Präsident Joe Biden.
Es geht in diesem Text um fast nichts anderes als darum, wer wann diesen Satz gesagt hat – und das Hamburger Magazin hilft Karl Lauterbach sogar dabei, so zu tun, als hätte nur sein Vorgänger Spahn dieses Narrativ verbreitet und nicht auch er selbst.
Warum tun diese Leute das? Warum biedern sie sich so an die Politik an und verbreiten Narrative, die ihnen helfen, sich aus der Affäre zu ziehen? Obwohl genau das Gegenteil ihre Aufgabe wäre? Nämlich als vierte Gewalt die Entscheidungsträger aus der Politik zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen, anstatt wie eine PR-Abteilung für die Regierenden zu fungieren? Was ist passiert mit diesen deutschen Leitmedien, die einst so unerschrocken das „Sturmgeschütz der Demokratie“ (im Falle des Spiegel) verkörperten und keine Angst davor, sondern eher Spaß daran hatten, sich mit den größten Playern im Politbetrieb anzulegen (wie eigentlich jahrzehntelang die SZ)?
Es liegt hier wohl daran, wie diese Medien selbst sich während der Pandemie verhalten haben und dass viele der dortigen Journalisten bis heute nicht wahrhaben wollen, dass sie vielleicht in der einen oder anderen Einschätzung, in der sie offenbar fragwürdigen Experten gefolgt sind, grundfalsch lagen. Irren ist menschlich, aber irgendwann sollten grobe Fehler mal auffallen
Dabei ist Irren menschlich und kommt täglich vor; wir alle machen Fehler. Man sollte allerdings gerade als Journalist in der Lage sein, seine eigene Einschätzung, die Weltlage, die Quellen, die Experten, politische Akteure und auch wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder neu zu hinterfragen.
Zu Beginn der Pandemie lag naturgemäß noch vieles im Unklaren. Ich selbst etwa habe auch anfangs länger an die Wirksamkeit der Maßnahmen geglaubt, um die Alten zu schützen. Ich wurde erst skeptisch, als immer stärker auf die Impfung als Allheilmittel gedrängt, die Möglichkeit von Nebenwirkungen verdrängt und schließlich das in sich unschlüssige 2G-Konzept verkündet wurde. Spätestens als sich Ende 2021 bei uns Hunderte Impfgeschädigte meldeten, war mir klar, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Und da ich weiß, dass sich dieselben teils schwerst Impfgeschädigten auch an andere Verlage und Fernsehstationen Hilfe suchend gewendet haben, dort aber in der Mehrzahl abgewiesen oder ignoriert wurden, frage ich mich: Was ist da los? Wie kann man es erstens übers Herz bringen, diese oft schweren und schlimmen Schicksale zu ignorieren, und zweitens wie zuvor weiterzumachen mit der Berichterstattung über die angeblich so sicheren und wirksamen Impfstoffe und die Unhinterfragbarkeit der Maßnahmen? Lauterbach zu RKI-Protokollen: „Zu verbergen gibt es trotzdem nichts“
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•gestern Nach Corona-Impfpflicht bei Bundeswehr: Ungeimpfter Soldat tritt Gefängnis-Strafe an
Gefängnis für Soldaten: Wer bis 13 Uhr nicht geimpft war, galt als Befehlsverweigerer Open Source
23.07.2024
Die SZ brachte es sogar fertig, erst vor kurzem, am 14. Juli, unter „Top-News“ ein Thema als neu und als aufklärerisch zu verkaufen, das Querdenker schon seit 2020, alle anderen spätestens seit 2021 kannten: Dass nämlich ein Strategiepapier des Innenministeriums schon zu Beginn der Pandemie verlangte, man müsse an die „Urangst“ appellieren, dass Menschen von Kliniken abgewiesen werden und „qualvoll zu Hause sterben“. Das ist ein Witz, damit nach vier Jahren anzukommen und es dann noch als neue Erkenntnis zu verkaufen. Soll die Aufarbeitung jetzt in diesem Tempo weitergehen?
Wiederum andere große Medien aus dem eher konservativen Spektrum, wie etwa die Welt, Cicero, auch die Schweizer NZZ mit Dependance in Berlin, hatten nach einer gewissen Übergangszeit ein feineres Gespür für Ungerechtigkeiten während der Pandemie und blickten etwas häufiger auf die Rechte der Bürger als auf Interessen der Politik. Oder kam dieser Wechsel bei manchen der Konservativen eher mit dem Wechsel der Bundesregierung, Ende 2021?
Jedenfalls berichten Letztere, wenn auch wieder mit einiger Verzögerung, inzwischen auch wieder gewohnt kritisch über die neuesten RKI-Files, was immerhin eine gute Sache ist. Wie große Medien Vertrauen verspielen
Nichtsdestotrotz lässt sich dieser Trend auch abseits von Corona beobachten, und hier auch eher über die politischen Lager hinweg: Gerade die großen Medien und der ÖRR, die eigentlich aufgrund ihrer personellen und finanziellen Kapazitäten in der Lage wären, besonders gute unabhängige journalistische Arbeit zu leisten, scheinen in vielen großen Debatten unserer Zeit zu versagen und sich immer öfter an von der Regierung vorgegebene Narrative zu klammern und sie bisweilen bis aufs Blut – auch gegen Leser oder Zuschauer – zu verteidigen.
Oder, wie es am Mittwoch ein User auf X formulierte, im Zuge der Debatte, warum ein Whistleblower des Robert-Koch-Instituts sich lieber an eine unabhängige Journalistin wendet als etwa an den Spiegel oder die Zeit: „Guten Tag, liebe Leser. Wir haben während der Corona-Krise als Kritiker und Korrektiv staatlicher Entscheidungen versagt und beschlossen, dieses Versagen bis heute zu verschleiern. Wir befinden uns in Abwicklung. Wir werden ersetzt durch kleinere unabhängigere Formate.“
Das ist zwar ziemlich sarkastisch, aber ich fürchte, es trifft es ganz gut.