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Sphäre der Meditation

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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 2.624 mal aufgerufen
 Mystik inter- und transkulturell
Seiten 1 | 2 | 3
Amalia Offline



Beiträge: 501

13.11.2010 13:55
Ich bin Benjamin Zitat · Antworten




also...
nur ein Esel ist überhaupt imstande
hier bei Mystig inter-und transkulturell zu posten



Ich bin Benjamin, der Esel und werde euch eine Geschichte erzählen. Der Anfang der Geschichte ist nicht gerade ruhmreich, aber so ist es halt mit der Welt und den Menschen
und den Tieren.


"Vermaledeites, gottloses Geschöpf du!“, schnaubte Absalom mich mürrisch an. Aber damit nicht genug: seine Vorwürfe, unterstrich er mit mehreren Stockhieben.

Es war meist derselbe Ablauf. Ich wusste genau, was nun folgen würde, denn Absalom hatte wenig Einfallsreichtum, was seine täglichen Beleidigungen an mich betraf, um mich einzuschüchtern. Es waren nur billige Projetionen seines miserablen kleinen Egos: „Ich werde dich auf dem Markt verkaufen, du wirst schon sehen, du gottloses Biest!“

„Wer ist denn hier gottlos?“, fragte ich Absalom indigniert. „Wer ist von uns beiden verkäuflich?“ Aber Absalom verstand meine Sprache nicht, oder wollte sie nicht verstehen.
Im Gegensatz zu Absalom, verstehe ich die Menschensprache sehr wohl, er aber ist einfach nicht in der Lage, die Sprache der Esel zu kapieren.
Normalerweise bleibe ich dann einfach stehen und bewegte mich keinen Schritt weiter. Heute aber, war ich es einfach leid, mir seine ewigen Vorwürfe anzuhören. So wankte ich schnaufend mehrmals hin und her, worauf die beiden Säcke mit den getrockneten Feigen verrutschten und mit einem dumpfen Schlag zu Boden fielen, zusammen mit mir. Da lagen wir nun am Boden und das war die reinste Wohltat, denn eine kleine Verschnaufpause ist in meinem Alter immer willkommen.

Wie es mir zu Ohren kam, soll der Name Absalom ein ganz besonderer sein. Absalom bedeutet Vater des Friedens. Ich glaube, es war Esau. Esau der Ochse, er ist mein guter Freund und wir teilen uns friedlich den Stall und die Futterkrippe.

„Ich werde dich zur Schlachtbank bringen!“, schrie Absalom mich an. „Du elende Kreatur du, taugst zu gar nichts mehr!“ Kopfschüttelnd dachte ich mir, dass er seinem Namen wahrhaftig keine Ehre machte.

Nachdem ich auch noch die gewohnten Fuβtritte einkassierte, es war immer die gleiche Nummer, die da ablief. Ich drücke auf bestimmte Knöpfe und wie der Hund von Pawlow, reagierte Absalom und traktierte mich mit Fuβtritten, solange bis ihm seine Füβe schmerzten und er mich dann normalerweise verflucht.

Was soll ich dazu sagen? Der Klügere gibt nach… Seufzend erhob ich mich. Es nützte ja alles nichts.

Während Absalom sich laut schimpfend mit seinen zwei Säcken abmühte, erinnerte ich mich an den Traum von letzter Nacht: ein Engel erschien und sprach zu mir: „Halte durch, Benjamin. Deine Geduld und Nachsicht mit deinem Herrn, werden belohnt werden, denn bald wirst du einem König dienen!“
So ganz verstand ich nicht, was der Engel damit meinte, aber eines Engels Botschaft werde ich ernst nehmen und abwarten, was das Schicksal mit mir auf meine alten Tage noch vorhat.

Absalom hatte es inzwischen geschafft, mir die beiden Säcke mit den Feigen aufzuladen. Ich schlug den Weg zum Markt ein. Es war heute ein herrlicher Tag. Die Strahlen der Morgensonne schienen auf das Laub der Olivenbäume und schmückten die ehrwürdigen alten Bäume mit einem feinen Gespinst aus Gold. In der Ferne die bläulich schimmernden Berge und die Luft duftete frisch und würzig nach wilden Thymian. Ich schnupperte zufrieden und sog die Luft in mich hinein. Lass den Alten reden, entschied ich. Der ist immer nur mies drauf und will seine Unlust auf mir abladen. Zwei Sack Feigen, das reicht schon, da brauche ich nicht noch Absaloms Sorgen, Absaloms Frust und Absaloms Zweifel.

Ich setzte den Weg betont langsam fort und lahmte mit dem rechten Hinterbein, um Absalom zu zeigen, was er mir angetan hatte. Genoss den vielversprechenden Morgen und humpelte so mit den Feigen zum Markt.




“Sustain that consummation of visionary experience
and pleasure
And on the wings of perfect creativity you cross
to the other side;
Running and jumping in the meadow
of visionary appearances,
You fly into the sky matrix and vanish.”

Yeshe Tsogyel -Lady of the Lotus-Born
VIII Century-Tibet

Amalia Offline



Beiträge: 501

14.11.2010 11:35
#2 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten




Der Rückweg verlief harmonischer, Absalom hatte eine gute Summe für seine Feigen erzielt und war zufriedener. Obwohl ich weiterhin mein rechtes Hinterbein betont langsam nachzog und so besonders viel Zeit brauchte, um nach Hause zu kommen, fasste sich Absalom in Geduld.

Ich musste nochmals an den Traum von heute Nacht denken. Ich fragte den Engel, wann dies alles eintreten werde, worauf der Engel sprach: „Die Botschaft wird sich bald erfüllen und ich werde dich nicht mehr verlassen!“




Mit einem Ruck blieb ich augenblicklich stehen. Der Engel wird mich nicht mehr verlassen! Das hat er zu mir heute Nacht gesprochen. Ich drehte mich um, blickte hinauf zum Himmel und rief aufgeregt und so laut ich konnte besagten Engel.
Er wird sich auf eine kleine Wolke gesetzt haben, überlegte ich. Er kann ja nicht den ganzen Tag hinter mir her schweben, das wäre für ihn sicher zu anstrengend. Oben am Himmel entdeckte ich eine kleine Wolke und zu ihr wandte ich mich mit lauter Stimme.

Absalom starrte mich mit offenem Mund an.

„Was willst du Benjamin?“, tönte es vom Himmel. „Fürchte dich nicht!“
„Warum soll ich mich fürchten?, rief ich hinauf.
„Weil ich ein Engel bin.“
„Ich fürchte mich nicht einmal vor Absaloms Stockhieben, warum sollte ich mich da vor dir fürchten? – Ach du meinst wegen deiner lauten Stimme und dem Donnerkrachen? Ein Grinsen huschte über mein Gesicht.

Ich habe eine kleine Frage wegen dem König. Was soll das für ein König sein, der auf einem alten humpelnden Esel reitet?“

„Dein Humpeln ist nur vorgetäuscht. Aber damit du nicht mehr zu lügen brauchst, werde ich dem gleich Abhilfe schaffen!“ Ein stechender Schmerz fuhr augenblicklich in mein rechtes Hinterbein. Ich schrie auf, knickte ein und fiel zu Boden.

„Du gottloses Geschöpf!“ schrie mich nun Absalom an. „Gottlos, krank und jetzt auch noch meschugge“, begann er zu jammern und raufte sich die Haare. „Wie soll ich einen kranken und obendrein verrückten Esel los werden?“ Absalom in seiner Verzweiflung rief diese Frage nun auch, so wie ich, nach oben. Ich vermute mal, er wandte sich an den Herrn persönlich…

„Siehst du, was du angerichtet hast, du holder Engel. Wie heiβt du überhaupt?“

„Gabriel werde ich genannt, denn ich bin für die Mutter des kommenden Königs verantwortlich und darum auch für dich!“

„Gabriel?“, fragte ich argwöhnisch. „Gabriel ist einer der ganz hohen Engel, ein Erzengel. Ein Führer für einen ganzen Volkstamm. Warum soll ausgerechnet Gabriel für mich unwichtigen Esel zuständig sein?“

„Du bist ein wichtiger Esel!“

Das hatte ich eigentlich immer schon vermutet. Der Ochse Esau, blickte mich abends im Stall oft bewundernd an. Es tat gut, von einem wichtigen Engel dies zu hören. Ich wedelte erfreut mit den Ohren.

„Oh Herr, bitte hilf mir!“, rief nun Absalom auch nach oben. Im Grunde genommen waren wir beide damit zugange hinauf in den Himmel zu rufen und das war nicht einfach, da Absalom sich Gehör zu verschaffen versuchte und mich mit meinen Rufen übertönen wollte. Aber da kannte mich Absalom schlecht. Ich schlug einfach eine noch lautere Gangart ein und es war eine wahre Freude, wie wir um die Wette in den Himmel schrien.

„Oh Herr, sorge dafür, dass mir jemand diesen verrückten Esel abkauft!“
„Oh Gabriel, ich schätze mich ungemein glücklich!“, rief ich hinauf. Zu Absalom aber richtete ich folgende Botschaft:

„Du elender Geizkragen. Willst dich vor dem Herrn in der Opferrolle darstellen, aber das nimmt ER dir sowieso nicht ab. Und undankbar bist du obendrein. Das hast du davon, mich tagein, tagaus zu beleidigen, zu beschimpfen und zu schlagen! Aber das geht in deinen Kopf nicht rein, dass es ein Universalgesetz ist, das Gesetzt von Ursache und Wirkung, du Trottel!“ Worauf ich mich wild am Boden herumwälzte und alle viere von mir streckte.

„Benjamin!“, ertönte es donnernd von oben. „Auch du bist kein Opfer. Steh auf und geh mit deinem Absalom heim!“

Ich befolgte augenblicklich die Aufforderung des Engels und erhob mich vorsichtig. Immerhin hatte mir Gabriel meine Wichtigkeit gerade zugesichert. Auch war es inzwischen empfindlich kalt geworden. Ich sog die Nüstern ein und hatte so ein Gefühl, dass es heute Nacht schneien würde. Und da ich nicht schon wieder an Rheuma erkranken wollte, beschloss ich humpelnd, aber hurtig meinen gemütlichen Stall aufzusuchen, um Esau alles zu berichten. Auch fühlte ich mich nun ein wenig für Absalom verantwortlich, der sich in seiner Verzweiflung auch am Boden wälzte.
„Oh Herr, so erhöre mich doch bitte“, stammelte er immer und immer wieder.

Wenigstens einer sollte Vernunft annehmen und den ersten Schritt machen, dachte ich seufzend.
Nachdem ich auf allen vieren stand, setzte ich vorsichtig einen Schritt vor den anderen und begann nach Hause zu humpeln.

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VIII Century-Tibet

Amalia Offline



Beiträge: 501

17.11.2010 14:46
#3 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten







Als ich endlich mit Absalom, meinen Stall erreichte, stand bereits der Nachthimmel über dem Tal und vereinzelte Schneeflocken tanzten in der Luft. Erleichtert humpelte ich auf meinen Platz und lieβ mich seufzend auf meinem Strohlager nieder. Esau erwartete mich und lächelte mir freundlich zu.
„Esau, wir haben hohen Besuch!“, rief ich ihm zu und deutete zur Decke des Stalles hinauf.

Esau der Ochse, blickte nach oben, konnte aber dort nichts entdecken. „Wo ist der Besuch?“, fragte er.
„Ich kann ihn auch nicht sehen, nur hören“, gab ich zur Antwort. „Soll ich ihn rufen?“
Esau schien zu überlegen und das dauerte oft eine ganze lange Weile.

Da tönte es laut von oben herab. Ich glaube, es war aus dem Himmel und es war begleitet von grollendem Donnern: „Benjamin! Du sollst mich nicht wegen unwichtigen Angelegenheiten rufen!“
Esau hatte die Stimme des Engels gehört und blickte sich ängstlich um, dann richtete er seine Augen fragend auf mich.

Ich zuckte mit den Schultern und rief zu Gabriel hinauf: „Nichts für ungut. Immerhin ist Esau mein bester Freund und hätte es verdient, dass ich dich oh ehrenwerter Gabriel, ihm vorgestellt hätte.“
„Dann soll es so sein!“, sprach der Engel und erschien plötzlich vor mir und Esau. Da stand er vor uns in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit. Der Stall war so hell erleuchtet, als ob die Sonne anwesend war.
Wir konnten nur noch staunen über dieses strahlende Wesen und lauschten ergriffen seinen Worten:
„Benjamin und Esau! Ihr beiden seid auserkoren, der heiligen Familie Obdach zu gewähren und eure Futterkrippe dem kommenden Weltenherrscher, dem Heiland dieser Welt, als Wohnstatt zu geben!“

„Die Futterkrippe?“, rutschte es aus mir heraus. „Wie soll ein Weltenherrscher in dieser kleinen Futterkrippe wohnen?“
„Sorge dich nicht. Das Wort wird sich bald erfüllen und dann erst werdet ihr begreifen. Bis dahin habe Geduld mit Absalom, Benjamin, denn alles ist Teil des Planes!“

Das Licht im Stall war gewichen und machte der Dunkelheit Platz. Ich beruhigte den Ochsen Esau und erzählte ihm alles. Angefangen von meinem Traum und meinem Weg heute auf den Markt.
Geduldig, wie ich nun mal bin, war ich dabei, Esau schon mehrere male meine Geschichte zu erzählen. Esau hört mir gerne zu und es ist fast so, als ob er meine Worte nochmals widerkäue, was sich in langen Schweigepausen von ihm offenbart.

Da öffnete sich die Türe des Stalls und Absaloms Frau, Rebna erschien. „Na Benjamin, was haben wir denn da?“, rief sie. In der Hand hielt sie einen Korb, in dem sie Heilpflanzen aller Art aufbewahrte. „Nun steh schon auf, Benjamin.“

Ächzend erhob ich mich und beschwerte mich sogleich lauthals über mein rechtes Hinterbein. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht erneut von einer Rheumaattacke heimgesucht wurde. Wie ich bereits schon erwähnte: ich bin nicht mehr der jüngste.
Rebna tastete vorsichtig meinen rechten Hinterhuf ab und murmelte verschiedene Kräuternamen vor sich hin, die sie aus dem Korb herausholte. Im Gegensatz zu Absalom, ist Rebna eine herzensgute Frau und versorgt mich und auch Esau, wenn es Not tut.
Sie gab mehrere Heilpflanzen auf meinen Fuβ und verband ihn mit einer Leinenbinde.

„Morgen geht es dir schon besser und jetzt schlaf dich aus.“ Ich bedankte mich mit einem Grunzen bei ihr.
„Morgen in aller Herrgottsfrüh müssen die Datteln auf den Markt gebracht werden.“
Rebna strich mir nochmals über mein Fell, was immer sehr wohltuend ist und verlieβ den Stall. Kaum war sie verschwunden richtete ich meine Sorge an Esau:
„Was wird der Engel wohl dazu sagen? – Nicht, dass ich nochmals so eine geballte Ladung Schmerz zugefügt von ihm verpasst kriege!“

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Benjamin!“, ertönte es laut von der Decke des Stalls. Ich blickte Esau vielsagend an und murmelte ihm zu:
„Es muss drauβen ziemlich kalt geworden sein, dass sogar Erzengel Gabriel es vorzieht, hier mit uns im Stall zu übernachten, statt oben am Himmel…“
Esau schien verstanden zu haben, was ich meinte und dachte erst einmal eingehend darüber nach. Ich aber blickte fragend nach oben. Dort oben war eigentlich kein Platz für einen Erzengel, dachte ich. Andererseits, was weiβ ich Esel schon?
„Du wirst die Datteln nach Bethlehem bringen, Benjamin. Ein wenig hinkend zwar, aber vor allem ohne deinem Absalom Scherereien zu machen.“
„Scherereien?“, fragte ich. „Er ist es, der mir Scherereien macht mit seinen ewigen Klagen und seiner Unzufriedenheit über das Leben. Ich bin doch ein Esel und kein Psychiater!“ Ich blickte vorwurfsvoll nach oben und kam zu dem Schluss, dass es sich nur um den groβen Balken handeln könnte, wo Gabriel Unterschlupf gesucht habe.

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Amalia Offline



Beiträge: 501

18.11.2010 12:36
#4 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten



Matmata





Es war ein langer Tag gewesen für Absalom und mich. Ich hatte mich an die Weisung des Engels gehalten und die Datteln ohne gröβere Scherereien auf den Markt nach Bethlehem gebracht.
Auch hatte ich es vermieden hinter mich zu blicken und in den Himmel hinaufzurufen, aber einmal da konnte ich es mir einfach nicht verkneifen. Es war auf dem Rückweg und Absalom machte dauernd dumme Bemerkungen über mein hinkendes Bein:
„Musst du so langsam nach Hause humpeln, du gottlose Kreatur?“, fragte er mich. „Ohne dich könnte ich längst gemütlich in der Stube sitzen, statt mir den eisigen Wind um die Ohren wehen zu lassen!“

Ich blieb stehen und drehte mich nach hinten. Um den Wind zu übertönen, rief ich Gabriel besonders laut zu:
„Bin ich gottlos oder ist es Absalom?“

„Das brauchst du mich nicht zu fragen! Das weiβt du doch, Benjamin!“

Absalom hieb darauf wütend mit dem Stock auf mich ein, worauf ich mit meinem linken Hinterbein nach ihm zielte und ihm einen kräftigen Tritt versetzte.

Was dann folgte, brauche ich nicht zu erklären. Rebna wird sich seiner schon annehmen, wenn wir zu Hause sind, dachte ich vergnügt.

„Kannst du nicht einmal meine Anweisungen befolgen?“, fragte der Engel.
„Absalom beleidigt mich pausenlos…“

Das war wirklich alles, was ich mir an Scherereien leistete. Ich humpelte friedlich über die Berge, Absalom schimpfte und jammerte abwechselnd, bis wir endlich unser Tal erreichten und am Stall anlangten. Die Sonne war untergegangen und es zeigte sich eine sternenklare Nacht.


Esau freute sich, mich endlich zu sehen. Ich habe ganz vergessen Esau zu beschreiben: Esau ist ein junger Ochse und so wie ich, wunderschön. Er hat dunkelbraunes Fell, nur oben am Kopf befinden sich ein paar weiβe Flecken. Was ich ganz besonders an ihm liebe, sind seine sanften Augen.

„Wie war es?“, fragte Esau und blickten mich voller Güte an.
„Ich versuchte, bis auf einmal, keine Scherereien zu machen…“
„Du versuchtest?“ Esau musste lächeln.
„Und du Esau?“
„Heute habe ich den Acker umgepflügt und das war harte Arbeit.“

Wir futterten hungrig und unterhielten uns noch eine Weile, bis der Schlaf uns heimsuchte.

Mitten in der Nacht wurden wir durch ein Klopfen an die Stalltür geweckt. Ich schaute zum Eingang und erblickte einen älteren Mann in Begleitung einer jungen Frau.

„Dürfen wir hereinkommen?“, fragten beide. „Wir mussten zur Volkszählung nach Bethlehem. Uns ist so kalt und wir haben sonst keine Herberge gefunden“, erklärte der Mann.

„Natürlich dürft ihr hereinkommen“, antwortete ich sogleich. „Kommt nur näher, bei mir und Esau ist es warm.“





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19.11.2010 10:49
#5 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten







Bergoase Chebika


Der Mann stützte seine Frau und geleitete sie zu mir und Esau, wo sie sich erschöpft zu Boden gleiten lies.
„Wir haben nirgendswo eine Herberge finden können“, erklärte er nochmals. „Ich bin Joseph und das ist meine Frau Maria. Sie trägt ein Kind unter ihrem Herzen und es wird bald zur Welt kommen.“ Fürsorglich streichelte er Maria, bereitete aus dem Stroh ein Lager ganz dicht neben Esau und bettete sie darauf.
Ich rückte näher, um sie zu wärmen und betrachtete sie neugierig. Ich gestehe, dass ich noch nie eine so schöne Frau in meinem ganzen Leben gesehen habe. Und da ich viel rum gekommen bin, immerhin war ich viele male schon mit Absalom auf dem Markt in Bethlehem, weiβ ich wovon ich rede. Ich war gerade dabei dieses zarte Gesicht zu bewundern, da geschah es…


Was nun folgte war ein heiliger Moment, den ich versuchen werde zu schildern. Das ist nicht einfach, da ich nur ein kleiner Esel bin:
Es war, als wären wir nicht mehr allein im Stall! Ein feines Singen und Tönen begann überall um uns herum. Erstaunt hob ich den Kopf und spähte zum Dachbalken, wo ich Gabriels Schlafstätte vermutet hatte und erblickte tausende und tausende von Engelscharen, die über uns kreisten.
Da war keine Stalldecke mehr und auch kein Dachbalken. Der Himmel war so nah, wie ich ihn nie mehr in meinem Leben je gesehen habe.
Wie eine riesige Kuppel thronte das ganze Firmament über unserem winzigen Stall. Heerscharen von Engeln wandelten in erhabener Haltung eine leicht geschwungene Treppe hinauf und hinunter.
Andere wieder flogen durch den weiten Himmel, musizierten und spielten auf Harfen, Flöten und Posaunen. Gebannt erblickte ich auf der anderen Seite einen Chor singender Engel, ihre Lieder so süβ und zart, dass mir Schauer über den Rücken liefen. Esau schien es genauso wie mir zu gehen. Auch er blickte verwundert empor und kam gar nicht mehr zum Nachdenken, so viele waren die Eindrücke. Eine Stimmung der Freude erfüllte den Raum und unsere Herzen und siehe: das Kind von Maria erblickte die Welt!

Das Licht im Stall wurde so strahlend hell, dass ich nichts mehr sah als Licht. Ich glaube, das Licht erhellte in diesem Augenblick der Geburt des Kindes von Maria, die ganze Welt. Das Licht schien in die Dunkelheit und kam zu uns allen: den Steinen und Pflanzen, den Tieren und den Menschen.

Das Licht erglänzte auf den Zinnen des heiligen Tempels in Jerusalem. Das Licht schimmerte matt auf den Gewässern des Toten Meeres und auf den wogenden Wellen der Seen, weit hinter der Ebene von Saron.

Das Licht flammte auf den goldenen Palast des Pilatus und des König Herodes.

Es schimmerte auf dem Nil und lieβ die beiden Obelisken des heiligen Tempels in Karnak erstrahlen.
Das Licht schien auch auf die hohen Kapitole des allmächtigen Roms und kündete den baldigen Untergang eines Weltreiches an. Es leuchtet über den ewigen Schneefeldern und den endlosen Wüsten dieser Welt. Und das Licht war nicht von dieser Welt und es wurde zum Licht der Welt.

Der Chor der Engel schwoll mehr und mehr an und es war ein lautes und immer lauteres Jubilieren, und da begriff ich! Ich begriff, die wahre Bedeutung des Lichts und wer auf die Erde kam und sofort rief ich Joseph erfreut zu: „Du darfst das Kindlein in unsere Futterkrippe legen, wir haben euch schon erwartet!“
Endlich konnte ich wieder ein wenig sehen und bemerkte, wie Joseph das Kind in ein Tuch wickelte und in unsere Futterkrippe legte. Und über der Futterkrippe Erzengel Gabriel mit weit geöffneten Schwingen, wie schützend über dem Kind. Ich beugte mich über diesen winzigen Erdenmenschen, der in Wahrheit so groβ war, so groβ, dass ich es kaum verstand und schnupperte den wundersamen Duft nach Süβe ein, die von ihm ausging. Freudig leckte ich ihm einmal kurz über das Gesichtchen. Seine Augen blickten mich dankbar an und es war, als fuhr dieser Blick hinab bis auf den Urgrund meiner Seele und da war in mir auf einmal auch nur noch Licht und Glückseligkeit.


Ich bin ja nur ein alter Esel und habe noch nie getrunken, obwohl ich oft Gelegenheit dazu gehabt hätte. An den heiβen Sommertagen, macht Absalom auf dem Rückweg vom Markt, gerne um die Mittagszeit im Schatten eines der Olivenbäume Rast. Er verspeist dann einen ganzen Leib Brot mit Ziegenkäse und trinkt reichlich von dem Wein, den er auf dem Markt erstanden hatte. Müde legt er sich dann hin und sein Schnarchen ist weit und breit zu vernehmen. In seinem Lederbeutel blieb oft noch Wein zurück, aber ich hatte kein Verlangen danach. Oft genug habe ich erlebt, wie sich angetrunkene Esel in Bethlehem aufführten und herum torkelten. So etwas ist einfach nicht mein Styl, alkoholisiert durch Bethlehem zu gehen und die Bürger belästigen. Wenn die Menschen wüssten, was wir Esel so alles heimlich tun, sie würden sich aber umschauen. Auch wir Tiere greifen schon mal zur Flasche, um den Kummer eines boshaften Herrn herunter zu spülen und bekommen unseren wohlverdienten Rausch.
Genauso fühlte ich mich bei der Geburt des Kindes. Wie trunken, aber trunken vor Seligkeit.
Es war, als hätte ich von dem göttlichen Kelch getrunken, den die Menschen später den Gral nennen werden. Ich lächelte, so wie ich noch nie gelächelt hatte und schlummerte ein, gefolgt von einem tiefen erquickenden Schlaf.






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23.11.2010 17:51
#6 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten

Als ich erwachte, traute ich meinen Augen nicht. Es war im Morgenrauen, die ersten Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die Ritzen der Holzbretter. Ich blickte empor, aber das Himmelsgewölbe von gestern Nacht war verschwunden. Ein paar Engel schwebten oben an der Decke. Aber unser Stall! Unser Stall hatte sich mit lauter fremden Männern angefüllt. Es schienen Hirten zu sein, ihre Kleidung war sehr einfach. Auch hatten sie gleich ein paar Schafe mitgebracht. Vielleicht hätte ich besser als Schaf auf die Welt kommen sollen, war das erste, was mir dazu einfiel. Denn einer der Hirten trug ein Lamm auf seinem Arm und kniete vor unserer Futterkrippe. Dann hätte man mich auch getragen und mich verwöhnt, so wie dieses Lämmlein. Ich dagegen muss tagein tagaus schwere Lasten nach Bethlehem schleppen und werde dabei noch ausgeschimpft!

„Benjamin, hör auf nachzugrübeln!“, erscholl es oben vom Himmel und diesmal zuckte ich leicht zusammen. Der Engel konnte meine Gedanken lesen…

„Ich dachte ja nur…“, antwortete ich um mich zu verteidigen. „So ein Leben als Esel ist nicht immer einfach! Und jetzt ist unser Stall mit lauter Fremden angefüllt!“
„Oh Benjamin! Wenn du wüsstest, was morgen erst los ist!“
„Morgen?“ Ich wackelte nervös mit meinen Ohren. „Was sollte da schon groβartiges los sein, als dass ich mal wieder mit Absalom zum Markt humpel?“

„Du wirst schon sehen!“, klang es fast ein wenig schelmisch.


Die Hirten berichteten von einem Engel, der ihnen im Traum erschienen sei und einem leuchtenden Stern am Himmel, der den Weg zeigte, bis hier her zum Stall, wo der Heiland geboren sei und sie nun ihn anbeten wollten. Sie hatten frische Schafsmilch dabei und Käse, reichten es dem Joseph und verbeugten sich ehrfürchtig.

Ich Benjamin, war gerade dabei zu überlegen, wie Engel Gabriel das angestellt hatte, gleichzeitig hier an der Krippe und bei den Hirten im Traum zu erscheinen und beschloss
im nächsten Leben unbedingt als Engel wiedergeboren zu werden. Da öffnete sich die Stalltüre und drei edle Herren kamen herein.

Das wird ja immer besser, dachte ich. In unserem Stall geht es zu, wie in einem Taubenschlag! Drauβen waren Kamelschreie zu hören und die Rufe eines Knaben, der sie in einer für mich fremden Sprache, versuchte zu beruhigen. Nicht dass die Kamele auch noch in unseren Stall wollen, dachte ich voller Panik, denn bis auf das letzte Plätzchen war alles belegt. Wir waren ausgebucht!

Mein Stall war der einzige Platz, wo ich meine wohlverdiente Ruhe hatte. Ich weiβ gar nicht, ob ich euch schon sagte, dass ich nicht mehr der jüngste sei? Die Familie, die ich als heilig beschreiben würde, ja! Die habe ich in mein Herz geschlossen, aber nicht lauter wildfremde Männer mit Schafen.

Die Hirten hatten sich zum Joseph verkrümelt um so den neuen Gästen ehrerbietig Platz zu machen. Die drei edlen Herren wiederum stellten sich mit exotisch klingenden Namen vor: Caspar, Balthasar und Melchior. Sie hatten kostbare Geschenke dabei, wie Weihrauch, Myrrhe und Gold, das sie dem Kind zu Füssen legten. Wie sich herausstellte, waren alle drei Könige aus weit entfernten Ländern und es war der Stern, der ihnen den Weg hierher zu unserem Stall wies.

Und in unserer Futterkrippe lag das Kindlein, seine Eltern hatten ihm den Namen Jesus gegeben. Jesus, der Messias, so beteten ihn die drei Könige an.

Vor lauter Aufregung vergaβ ich sogar zu fressen. Esau dagegen blickte zufrieden in die Runde und seine Augen leuchteten vor Freude, er schien über das Geschehen nochmals gründlich nachzudenken und lieβ sich dabei viel Zeit.

Erst traute ich meinen Augen nicht, und jetzt traute ich meinen Ohren nicht, über das was ich jetzt aus dem Munde der Könige vernahm: „Wir kommen gerade von König Herodes, oh ihr heilige Eltern des Messias!“, sprach der eine König, er war kohlrabenschwarz und wie er vorher erzählt hatte, kam er aus Afrika.
„König Herodes erfuhr durch uns von der Geburt des Königs und trachtet ihn nach dem Leben. Nehmt das Kind und flieht nach Ägypten, denn die Häscher von Herodes werden sich alsbald auf den Weg machen, um euch zu finden, und sie werden nicht ruhen, bis sie euch gefunden haben und wollen das Kindlein töten.“


Und wenn das noch nicht gereicht hätte, kam zu allem Überfluss nun auch noch Absalom mit Rebna in den Stall…
Rebna hatte einen Laib Brot dabei und Datteln, die sie der Maria übereichte. Auch sie kniete vor der Krippe und Absalom tat es ihr zögernd nach.

„Ihr müsst fliehen, solange noch Zeit ist!“, sprachen die drei Könige wie aus einem Mund.

Joseph seufzte. „Ich bin schon alt, wie soll Maria die lange Reise nach Ägypten bewältigen?“
„Oh, werter Joseph“, begann Absalom. „Ich habe einen Esel, den kann ich euch ganz billig abgeben.“

„Wir haben ja ein wenig Gold“, antwortete Joseph nachdenklich.
„Und den Ochsen gebe ich euch dazu“, sprach Absalom. Da könnt ihr die Lasten drauf packen. Ihr solltet auf die Worte der weisen Männer hören!“

„Also gut“, sagte Joseph. „“Wir brechen unverzüglich auf!“


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26.11.2010 09:10
#7 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten

In Windeseile wurden die Sachen gepackt und dem Esau aufgeladen. Esau war noch nachdenklicher als sonst und ich frage mich, ob Esau überhaupt begriff, was stattfand.

Drauβen vor dem Stall, wartete die kleine Karawane der drei Könige. Der Mohr hieβ gar nicht Caspar sondern Melchior. Ich gesteh, dass das alles auch mir armem Esel ein bisschen viel war, sich diese exotischen Namen von Königen aus dem Morgenland zu merken. Melchior brachte noch allerlei Lebensmittel und Kleider, die dem Esau auf den Rücken gepackt wurden.
Und dann kam der Augenblick, wo Maria und das Kind sich auf mich in einen Sattel setzten. Wunder über Wunder! Die beiden waren so leicht, dass ich gar nichts fühlte. Leicht wie eine Feder, fühlten sie sich an.

„Du sollst humpeln!“, tönte es donnernd von oben. Gut, dass Gabriel mir das riet, denn der rechte Hinterhuf schien nicht mehr weh zu tun. So humpelte ich also los…

„Der Esel hat nur eine unbedeutende Zerrung“, beruhigte Absalom den Joseph. „Ich gab ihn euch für nur einen Denar und den Ochsen dazu als Geschenk. Macht euch keine Sorge, ihr habt ein gutes und treues Lasttier. Sobald ihr auf der groβen Karawanenstraβe seid, wird der Esel normal gehen, er muss sich erst warm laufen.“


Esau schritt gemächlich neben mir her, gefolgt von Joseph. Das Jesuskind schlief im Arm seiner Mutter und bekam von dem ganzen Aufbruch nichts mit.
Es war ein herrlicher, sonniger Morgen und ich fühlte mich richtig erleichtert über diese glückliche Wende in meinem Leben. Die Sonne lieβ die Tautropfen silbern in den Blättern der Olivenbäume glitzern und ein sanfter Wind spielte in den saftigen Wiesen.


Welche Route wollen wir nehmen?“, fragte ich Esau unternehmungslustig. Esau legte die Ohren an und überlegte längere Zeit. Sollten wir nicht über das Sinai Gebirge?“ kam endlich die Antwort. Da waren wir bereits den Hügel hinauf und konnten Absaloms Haus nicht mehr sehen.
„Warum über den Sinai?“, fragte ich Esau verdutzt und in mir begann es gewaltig zu arbeiten. Warum Sinai?
„Moshe Dayan wird einmal sagen: Kein Jude soll sagen, dass wir am Ende der Straβe angelangt sind.“
„Moshe Dayan?“, fragte ich misstrauisch. Esau nickte. Der Verteidigungsminister des Volkes Israel! Immerhin gewann er mit seinen Soldaten den Sechs Tage Krieg…“ Esau schnaubte aufgeregt und blickte mich bedeutsam an. „In sechs Tagen nach Ägypten!“
„Mit dem Esel und dem Ochsen in sechs Tagen nach Ägypten?“

„Esau!“ tönte es laut vernehmbar vom Himmel. „Der Sechs Tage Krieg findet erst in zweitausend Jahren statt. Macht euch endlich auf den Weg nach Hebron!“

In meinem Inneren schaltete sich das Esel GPS Gerät ein, dann vernahm ich die sanfte Stimme meiner allerliebsten Eselin Dalila: „Biege nach tausend Schritt nach links ab…“ Mir wurde ganz warm ums Herz, wenn ich an Dalila dachte.

Also nahmen wir den alten Pfad der Händler in südliche Richtung nach Hebron. „Das ist ein Tagesmarsch“, beschwerte ich mich. „Wie sollen meine alten Knochen das durchstehen?“
„Mache dir darüber keine Sorgen, Benjamin“, rief Erzengel Gabriel lachend. „Jeder Schritt wird dich ab nun verjüngen!“

Und wirklich! Der Schmerz des rechten Hinterhufes war völlig gewichen und eine angenehme Kraft machte sich in mir breit. Übermutig machte ich einen Satz, worauf das Jesuskind erwachte und erstaunt um sich blickte.

„Wir sind auf dem Weg nach Hebron!“, verkündete ich stolz und zwinkerte Jesus zu. Jesus schenkte mir ein süβes Lächeln, so süβ dass ich fast die innere Stimme von Dalila überhörte:
„Achtung nach acht Stadien, rechts auf den Karawanenweg einbiegen!“

„Wir sollten uns das mit dem Sinai wohl überlegen“, meldete sich Esau. „Dort vermuten uns die Häscher von Herodes nicht…“

Alle Achtung dachte ich. Esau hält stur an seiner Meinung fest, so wie die Rindviecher nun mal sind und Unrecht hat er womöglich auch nicht einmal…

“Sustain that consummation of visionary experience
and pleasure
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to the other side;
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You fly into the sky matrix and vanish.”

Yeshe Tsogyel -Lady of the Lotus-Born
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Amalia Offline



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02.12.2010 22:23
#8 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten

„Benjamin!“,vernahm ich die Stimme des Engels. „Ihr müsst euch spurten, denn die Legionen des Herodes haben bereits Jerusalem verlassen und sind auf dem Weg nach Bethlehem!“

Träge blinzelte ich nach oben in das Geäst des groβen Olivenbaumes wo ich den Engel vermutete, während ich erst einmal begann meine müden Glieder zu strecken. Sputen, dachte ich seufzend. Diesen friedlichen Rastplatz schon wieder verlassen. Esau neben mir äste von dem saftigen Klee, der rundum die Wiesen in einen gelben Teppich verzaubert hatte. Ein sanfter Wind streichelte über die Gräser und die Wintersonne schickt ihre wärmenden Strahlen auf mich und natürlich auch auf die anderen.

„Herodes seine Truppen werden in Windeseile herbei nahen“, erklang erneut die warnend, vorwurfsvolle Stimme des Engels.

„Wir sind aber nicht mehr in Bethlehem, sondern einen halben Tagesmarsch hinter Hebron“, verteidigte ich mich. „Nach diesem anstrengen Ritt über die Berge von Judäa habe ich eine wohlverdiente Mittagsrast verdient. Auβerdem hat mir mein GPS geraten hier eine Ruhepause einzulegen…“

„GPS?“, kam es fragend. „Was ist denn ein GPS?“
„Göttliche, pflichtbewusste innere Stimme“, erklärte ich geduldig. Immerhin wollte Esau das auch gestern von mir wissen und dem Esau musste ich das mehrere Male hintereinander erklären. Meine Geduld war nun fast am Ende. Auch erzählte ich Esau, dass es sich dabei um die Stimme von Dalila handle, meine wirkliche groβe Liebe. Habe ich dem Esau alles berichtet über meine Dalila, die schönste und liebreizendste Eselin dieser Welt. Wir liebten uns wenn Absalom im Sommer seine Mittagsrast einlegte. Dann schlich ich mich heimlich davon, zu meiner geliebten Eselin Dalila, die mich schon erwartete. Absalom hat nie etwas davon mitbekommen. Der Wein, den er trank war ein schwerer Wein…
Dalila wartete hinter der Hecke aus Kaktusfeigen, dort vermutete uns niemand. Ach war das herrlich! Dalila, oh meine geliebte Dalila. Tränen der Rührung kommen mir in die Augen, wenn ich an sie denke.

„Benjamin, du wirst jetzt unverzüglich aufstehen! Die Truppen des Herodes können in zwei Kamelstunden von Jerusalem Bethlehem erreichen!“
Ich zuckte zusammen. Aus war der Traum von der Liebe und Dalila! Es galt unverzüglich alle sieben Sachen dem Esau aufzupacken und aufzubrechen.

Joseph hatte bereits alle Decken fest verschnürt. Habe ich euch eigentlich schon den Joseph beschrieben? Er ist schon ein wenig älter und hat ein Gesicht, welches Weisheit und Güte ausstrahlt. Ob das an seinem grauen langen Bart liegt? Er hat dunkle Augen, die immer ein wenig fragend und nachdenklich um sich blicken. Joseph trägt einen weiβen Mantel und am Saum ist eine grüne Borte eingewebt.

Maria hatte den kleinen Jesus bereits im Arm und saβ auf. Marias Anblick besänftigte mich sogleich, als sie mir ein Lächeln schenkte, dann sieht sie besonders liebreizend aus. Sie trägt eine orangefarbene Tunika und darüber ein blaues Obergewandt mit orangefarbenen Borten am Saum. Der Mantel umhüllt ihren Kopf und bedeckt Jesus zum Schutz vor der Kälte.

„Ich glaube, ich kann schon die Truppen von Herodes hören“, meldete sich Esau ängstlich, der seine Ohren auf den Boden gelegt hatte und angestrengt lauschte. „Und da in der Ferne, sind das nicht die blitzenden Helme der Soldaten?“

„Nein, Esau!“, rief Gabriel ihm zu. „Das ist eine Karawane aus Syrien, deren Hufgetrampel du hörst. Die Karawane in deren Gepäck sich kostbare Stoffe befinden, ist auf dem Weg in den Oman und hat nichts mit den Schergen des Herodes zu tun.“

Unbeeindruckt von Esaus Panikattacken machte ich mich sogleich auf den Weg.

Hurtig trabte ich voran, da meldet sich mein GPS: „Behalte die Karawanenstraβe immer im Auge“, hörte ich die sanfte Stimme von Dalila. „Nach acht Stadien, nimmst du den Weg rechts in Richtung Ascalon.“

„Ich bin damit ganz und gar nicht einverstanden!“, meldete sich die Stimme des Esau. „Wir wollten doch über die Berge des Sinai!“
„Hast du nicht mein GPS gehört?“, fragte ich Esau ärgerlich. „Und störe mich nicht, beim zählen der Stadien, sonst biege ich noch in den falschen Weg ein.“
„Was soll es denn hier groβartig für viele Wege geben?“, fragte Esau mich.

„Kannst du mal endlich mit deinem sturen Rindviehverstand begreifen, dass es für den Sinai nicht mehr reicht, Esau? Und auβerdem stelle ich mir dich gerade vor, wie du auf dem Mosesberg schlapp machen würdest. Auch wenn die Legionen von Herodes zuerst Bethlehem nach der heiligen Familie absuchen, die Zeituhr tickt und wir müssen es heute noch mindestens bis Marasa schaffen. Mehr als zwei drei Tage werden aber seine Truppen nicht in Bethlehem bleiben, wenn sie dahintergekommen, dass wir geflüchtet sind und dann Gnade uns Gott!“

„Achtung, noch zwei Stadien bis zur Abzweigung nach Ascalon“, vernahm ich erneut Dalilas Stimme und das wirkte ungemein beruhigend, ich war schon regelrecht gestresst vom Engel, dem Herodes und dem Esau.
Esau schwieg wenigsten erst einmal. Er schien einmal wieder über das ganze nachzudenken und das konnte hoffentlich bis Marasa dauern…

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03.12.2010 21:58
#9 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten

„Und auβerdem hat Joseph da auch ein Wörtchen mitzureden, auch wenn er nicht weiβ, dass wir es sind, die die Reiseroute bestimmen, sollten wir ihn in dem Glauben lassen, dass er uns den Weg befiehlt“, rief ich Esau zu.
„Hört endlich mit eurem Disput auf und spurtet, damit wir bis zur Dunkelheit Marasa erreichen. Dort steht auβerhalb des Ortes ein verlassener Hof, wo ihr Rast machen werdet, aber nur eine kurze Rast. Wir brechen noch in der Nacht erneut auf, denn der Mond wird uns leuchten!“

„Bei Moshe Dayan war das viel einfacher!“, wandte Esau ein.
„Esau!“ klang es donnernd vom Himmel.“Schweig endlich! Geht das immer noch nicht in deinen harten Schädel, dass Moshe Dayan erst in zweitausend Jahren lebt? Jetzt wird mit Ochs und Esel geritten und nicht mit schweren Tanks und Panzern in sechs Tagen durch die Wüste gerast! In drei bis vier Wochen sollten aber auch wir es geschafft haben!“

Mir sträubte sich das Nackenfell, als ich das vom Erzengel Gabriel vernahm. Gabriel hatte recht und um die unmittelbare Gefahr abzuwenden, galt es durchzuhalten und derlei Anstrengungen auf sich zu nehmen. Unser Ziel war erst einmal die Hafenstadt Ascalon, die unter der Herrschaft des syrischen Stadthalters stand und nicht dem Herodes oblag.

„Los Esau“, rief ich ihm zu. „Lass den Joseph bei dir aufsteigen und uns sputen. Damit wir den Soldaten des Herodes entkommen!“


*Am Abend des 12.November 7 v.Chr. erreichen die Weisen aus dem Morgenlande von Jerusalem kommend die Wohngrotte der Heiligen Familie unter dem Zodiakallicht des Jupiter (pyramidenförmiger Lichtschein in der Richtung des Tierkreises ) in Bethlehem.
Das astronomisch - chronologisch festgestellte Datum hat nach
Konradin Ferrari d' Occhieppo (Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht. Legende oder Tatsache ? 2.Auflage Giessen 1994, S.68) eine Toleranz von höchstens einem Tag vorher oder nachher.
Jupiter als Stern des Messias bleibt neben Saturn
am 12. November 7 v.Chr. über Bethlehem (scheinbar) stehen

Der Aufbruch der Heiligen Familie erfolgt also bald nach dem Wegzug der drei Weisen plötzlich, "bei Nacht" - möglicherweise noch in der Nacht vom 12. auf 13. November 7 v.Chr., jedenfalls bald danach, "als der noch reichlich halbvolle Mond hoch am Himmel stand" (K.Ferrari d'Ochieppo 1994, S.76).

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09.12.2010 21:42
#10 RE: Ich bin Benjamin Zitat · Antworten

In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so schnell geritten, wie diese letzten Stunden. Wir waren auf der Flucht vor den Soldaten des Herodes, der ein ganzes Heer hinter uns her jagte.

Und Erzengel Gabriel hatte recht behalten: jeder meiner Schritte, verlieh mir mehr Kraft. Ich blickte zu Esau herüber, dem ging es genauso, er war voll bepackt mit dem Hab und Gut der heiligen Familie und dem Joseph, aber es schien ihn nicht zu ermüden.

Das einzige was mich am Esau störte, waren seine Verfolgungsängste. So verging keine Meile
die er nicht kommentierte, er höre des Herodes seine Soldaten und das Waffengeklirre der Schwerter.


Heute Nacht noch, waren wir von Marasa aufgebrochen. Der halbe Mond stand hoch am Himmel und leuchtete uns den Weg in Richtung Ascalon.
Als der Tag anbrach, hatten wir bereits die Berge von Judäa hinter uns gelassen, da begann es zu regnen. Wir durchquerten eine Flussebene, da geschah es! Esau lieβ einmal wieder geängstigt von sich vernehmen, dass er die Legionen des Herodes höre. Ich war bereits genervt und hatte alle Müh mich auf mein Esel GPS zu konzentrieren. Das wollte ich dem Esau gerade zurufen, da erklang die Stimme von Gabriel: „ Herodes seine Legion ist im Anmarsch! Ihr müsst noch schneller traben, mein geliebter Benjamin und Esau, denn Esau hat diesmal richtig gehört. Nicht weit von hier befindet sich eine Höhle, wo ihr euch verstecken könnt. Lauft, so schnell euch eure Hufe tragen!“

„Noch zwei Stadien bis zur Höhle“, erklang dem Herrn sei Dank, Dalilas beruhigende Stimme. Und so sputeten wir uns und ritten fast so schnell wie der Wind.
Esau dagegen verfiel in lautes Ochsenwehklagen über die herannahenden Truppen des Herodes.


„Nach dreiβig Schritten rechts halten“, sprach Dalila. „Und jetzt anhalten, Ziel erreicht!“

Erleichtert stieg Maria ab, sie zitterte leicht, das Jesuskind hatte die Augen weit geöffnet und lächelte. Joseph war blass und kletterte von Esau herunter. Unverzüglich betraten wir die Höhle.

Ich sog prüfend die Luft durch die Nüstern ein. Es roch ein wenig modrig, aber wie sich herausstellte, war es im Inneren der Höhle sehr geräumig und bot uns genug Platz. Wir hatten uns ganz nach hinten in die Grotte zurückgezogen, so dass uns vom Eingang aus niemand sehen konnte und harrten der Dinge. Ich schickte zähneklappernd ein Stoβgebet hinauf zu unserem Herrn Gottvater.
Esau dagegen war still geworden und legte ängstlich die Ohren an. Jetzt vernahm ich drauβen und so wie es schien, in allernächster Nähe, Hufgetrappel und laute Männerstimmen, die sich näherten…



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